Unternehmen, die Compliance ernst nehmen und die Waren oder Dienstleistungen im Ausland herstellen oder produzieren lassen, verpflichten ihre dort ansässigen Lieferanten und Dienstleister über einen sog. Verhaltenskodex mit Lieferanten (auch Supplier Code of Conduct) zur Einhaltung von Mindeststandards. Diese betreffen regelmäßig die Einhaltung der Menschenrechte, die Einhaltung der Vorgaben der International Labor Organisation (ILO), das Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit, die Einhaltung der geltenden Bestimmungen zu Umwelt- und Arbeitsschutz sowie die Einrichtung eines Hinweisgebersystems (Whistleblower-Hotline) für die Meldung von Verstößen.

I. Die Entscheidung des Landgerichts Dortmund

Das Landgericht Dortmund hatte einen Fall zu entscheiden, in welchem eine in Nordrhein-Westfalen ansässige Bekleidungsfirma auf Grundlage eines solchen Verhaltenskodex für Lieferanten verklagt worden war. Die in Pakistan ansässigen Kläger waren Hinterbliebene von Opfern einer Brandkatastrophe in einer pakistanischen Bekleidungsfabrik, bei der es im Jahre 2012 zu mehr als 250 Toten kam. Das pakistanische Unternehmen hatte an die deutsche Bekleidungsfirma Waren geliefert und hatte sich dabei zur Einhaltung des Verhaltenskodex für Lieferanten verpflichtet. Offensichtlich hatte das pakistanische Unternehmen gegen die darin enthaltenen Verpflichtungen verstoßen und zwar insbesondere gegen die Bestimmung zum Brandschutz und zur Arbeitssicherheit. Fünf Hinterbliebene der Opfer beriefen sich gegenüber dem deutschen Unternehmen unmittelbar auf die Bestimmungen des Verhaltenskodex und machten auf dieser Grundlage Schadensersatz und Schmerzensgeld geltend. Das Landgericht Dortmund hat in seinem Urteil vom 10.01.2019 (AZ 7 O 95/15) diese Klage schon deshalb abgewiesen, weil mögliche Rechte verjährt waren. Aber die Kläger hätten auch keinen Anspruch gehabt. Denn so handele es sich bei einem Verhaltenskodex für Lieferanten nicht um einen Vertrag zugunsten Dritter i. S. v. § 328 BGB, da dieser sich unmittelbar nur an den Vertragspartner, den pakistanischen Lieferanten, aber nicht an dessen Arbeiter richte. Auch entfalte dieser Verhaltenskodex keine Schutzwirkung zugunsten Dritter, da es insoweit am Merkmal der Leistungsnähe fehle (Rz. 49 des Urteils).

II. Schlussfolgerungen für die Compliance

Der sehr tragische Fall zeigt wieder einmal, dass Compliance tatsächlich gelebt werden muss, um Katastrophen wie die in Pakistan zu verhindern. Ein Verhaltenskodex allein genügt hierzu nicht. Es muss auch kontrolliert werden, ob die darin enthaltenen Bestimmungen zu Arbeits-, Sozial- und Umweltmindeststandards auch eingehalten werden. So mag es das deutsche Unternehmen zwar entlasten, dass die Klage abgewiesen wurde. Die Toten macht dies jedoch nicht wieder lebendig und der Imageschaden, mit den verheerenden Produktionsbedingungen in Pakistan in Verbindung gebracht zu werden, ist gewaltig. Über effektive Compliance-Maßnahmen wie regelmäßige Audits und Kontrollen des Code of Conduct sowie eine Whistleblowerhotline, über welche die Arbeitnehmer in Pakistan schon frühzeitig die Misststände hätten melden können, wäre all dies zu vermeiden gewesen.

III. Anforderungen an einen Verhaltenskodex für Lieferanten

Die Entscheidung des Landgerichts Dortmund verdeutlicht zudem Folgendes:

  • Zu einem wirksamen Compliance-Managements-Systems (CMS) eines Unternehmens, das Waren und Dienstleistungen aus dem Ausland bezieht, gehört auch ein Verhaltenskodex für Lieferanten.
  • Von Unternehmen wird erwartet, dass Sie – wenn möglich entlang der gesamten Wertschöpfungskette – auch kontrollieren, ob die in ihrem Verhaltenskodex enthaltenen Bestimmungen auch eingehalten werden.
  • Dass die Klage abgewiesen wurde, bedeutet nicht, dass aus einem Verhaltenskodex für Lieferanten keine Haftungsrisiken folgen können, im Gegenteil: Um dem zu begegnen und Missverständnisse über die Anwendbarkeit zu vermeiden, sollte ein Verhaltenskodex daher besonders sorgfältig und verständlich formuliert werden.
  • Dabei sind auch die individuellen Bedingungen des Unternehmens, die jeweilige Branche sowie die Arbeits- und Produktionsbedingungen des Lieferanten zu berücksichtigen.
  • Viele Verhaltenskodizes sind auf dünnen zweiten Seiten in der Weise formuliert, dass Gesetze, Menschenrechte und Mindeststandards einzuhalten und Verstöße nicht toleriert werden. Wenn auf diese Weise dokumentiert wird, dass Compliance lediglich als lästige Pflichtaufgabe verstanden wird, erreicht man seine Vertragspartner selbstverständlich nicht. Ein Verhaltenskodex sollte daher immer auch die Botschaft transportieren, dass dessen Einhaltung ein Grundanliegen des Unternehmens ist.
  • Ein – auch an dieser Stelle – wirksames Mittel, um die Einhaltung eines Supplier Code of Conduct einzuhalten, ist die Einrichtung eines Hinweisgebersystems (Whistleblower-Hotline). Idealerweise sollten sowohl der Lieferant als auch das die Waren abnehmende Unternehmen ein solches System einrichten. Hierüber können Arbeitnehmer beider Unternehmen ggf. wechselseitig und anonym mögliche Verstöße gegen den Verhaltenskodex melden.
  • Ein Verhaltenskodex sollte auch die aktuell geltenden und international anerkannten Mindeststandards berücksichtigen. Hierzu zählen beispielweise für das Verbot von Zwangsarbeit der UK Modern Slavery Act 2015 und der kalifornische Transparency in Supply Chains Act of 2010 oder für das Verbot der Verwendung von Konfliktmaterialen die OECD Due Diligence Guidance for Responsible Supply Chains of Minerals from Conflict-Affected and High-Risk Areas.

Bei der Erstellung eines praxistauglichen und Haftungsrisiken vermeidenden Verhaltenskodex für Lieferanten sind wir Ihnen gern behilflich. Gleiches gilt für die Einrichtung eines wirksamen Hinweisgebersystems.