Den Beitrag „Whistleblowerschutz braucht keine neuen Rechtsvorschriften“ von Frau Dr. Christine Bortenlänger und Herrn Jan Bremer in Heft 5/2017 der BOARD auf S. 236 f. habe ich mit großer Verwunderung zur Kenntnis genommen. Nun kann man in der Tat geteilter Meinung sein, ob es weiterer Schutzmaßnahmen für Hinweisgeber bedarf. Die Argumente von Bortenlänger/Bremer, warum dies nicht der Fall sein soll, überzeugen nach meiner Ansicht aber nicht:

  1. Differenzierung nach Qualität gegebener Hinweise

    Bortenlänger/Bremer behaupten zunächst, bei den Enthüllungen von Edward Snowden und Antoine Deltour handelte es sich „um Ausnahmeerscheinungen“, die weit überwiegende Anzahl von Whistleblower-Meldungen in Unternehmen hätte hingegen keine vergleichbare Qualität. Bortenlänger/Bremer versteigen sich gar zu der Behauptung, es handele sich „oftmals um erfundene Vorfälle oder gar falsche Verdächtigungen.“ Bereits hier stellt sich die Frage, woher Bortenlänger/Bremer diese Erkenntnisse haben. Die meisten Hinweise werden anonym gegeben, unternehmensintern aufgearbeitet und sind damit gerade nicht öffentlich. Bortenlänger/Bremer dürften also keine gesicherten Informationen haben, welche Qualität diese Hinweise tatsächlich haben und ob diese tatsächlich „oftmals erfunden“ sind. Angesichts der vielen, auch aktuellen Korruptionsaffären (u. a. Airbus) ist diese These ohnehin sehr gewagt. Dass an dieser Stelle Hinweisgeber und deren Motive pauschal diskreditiert werden, kann aber nicht unwidersprochen bleiben. Aus meiner eigenen Praxis als Compliance Ombudsmann – und auch aus der von Kollegen – weiß ich, dass in den allerseltensten Fällen Hinweise frei erfunden sind, was zudem sehr schnell zu verifizieren ist (vgl. auch Buchert in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016, § 42 Rz. 3; ders., CCZ 2008, 148, 149: „Der Verfasser hat bei Bearbeitung von über 250 Compliance-Fällen mit rund 300 Hinweisgebern – abgesehen von einigen wenigen Grenzfällen und querulatorischen Meldungen – keinen einzigen Fall erlebt, der denunziatorischer Art gewesen wäre). Richtig ist, dass sich nicht alle Verdachtsmomente bestätigen. Aber sie werden üblicherweise aus sehr lauteren Motiven von loyalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern abgegeben, die Schaden von dem Unternehmen abwenden wollen.

  2. Person und Motiv des Whistleblowers

    Gegen einen Schutz des Hinweisgebers spräche weiter, dass der Hinweisgeber häufig genug eigennützige Motive verfolge, wenn er Hinweise gäbe, um so in den Genuss einer Kronzeugenregelung zu kommen. Wenn solche Hinweise Rechte des Unternehmens oder unbeteiligter Dritter verletzten, müsse ein Regress des Hinweisgebers aber möglich bleiben. Dem kategorischen Ausschluss zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche oder dem Absehen von Strafverfolgung wie im Konsultationsfragebogen der DG Justice vorgesehen, sei daher eine klare Absage zu erteilen. Zudem sei dieser Fragebogen so tendenziös gestaltet, dass „es wirkte, als ob die Kommission zu einer europaweiten Regelung bereits entschlossen sei.“

    All dies ist falsch. Denn der Fragebogen sieht überhaupt nicht vor – schon gar nicht kategorisch –, dass künftig zivilrechtliche Schadensersatzansprüche oder Strafverfolgung ausgeschlossen sein sollen. In diesem Fragebogen werden lediglich verschiedene Maßnahmen zum Schutz des Hinweisgebers aufgeführt, wobei die Befragten auf einer Skala von 1 bis 4 deren Effektivität gewichten sollen. Zu diesen Maßnahmen gehören zwar auch „Exemption of whistleblowers from criminal liability“ und „Immunity from civil actions for immunity“. Das bedeutet aber nicht, dass Hinweisgeber künftig stets und generell in den Genuss sämtlicher dieser Schutzmaßnahmen kommen sollen oder dass dies gar „beschlossene Sache“ ist. Sämtliche in dem Konsultationsfragebogen angesprochenen möglichen Schutzmaßnahmen für Hinweisgeber werden bereits seit langem in der Fachliteratur diskutiert und im Rahmen von internen Ermittlungen einzelfallabhängig teilweise schon umgesetzt (vgl. hierzu Wessing in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016, § 46 Rz. 58 ff. m. w. N.). Die Kommission möchte mit dem Fragebogen in einem ersten Schritt lediglich ergebnisoffen nachvollziehen, für wie sinnvoll und wirksam diese Maßnahmen erachtet werden. Dies ist nicht zu beanstanden, schon gar nicht, wenn man wie Bortenlänger/Bremer der Auffassung ist, dass „ein Schutz von Whistleblowern richtig und wichtig ist.“ Wenn ein solcher Schutz von Whistleblowern aber richtig und wichtig ist, dann muss es auch möglich sein, in Frage kommende Schutzmaßnahmen nach deren Effektivität gewichten zu lassen. Deshalb kann auch keine Rede davon sein, dass der Konsultationsfragebogen der DG tendenziös gestaltet oder die Kommission gar zu einer europaweiten Regelung bereits entschlossen ist.

    Ohnehin steht nicht zu befürchten, dass Brüssel Hinweisgebern künftig zivil- oder strafrechtliche Immunität bescheren wird. Schon jetzt gilt, dass ein Unternehmen, das ein Whistleblowersystem einrichtet, über den staatlichen Strafanspruch nicht disponieren kann. Für die Rechte Dritter gilt dies genauso. Und ob ein Unternehmen tatsächlich darauf verzichtet, selbst Schadensersatzansprüche gegen den Hinweisgeber geltend zu machen, ist eine wohl abzuwägende unternehmerische Einzelfallentscheidung. Ebenfalls bedeuten die in dem Fragebogen aufgeführten Schutzmaßnahmen nicht, dass künftig ein Regress des Hinweisgebers generell nicht mehr möglich sein soll. § 276 Abs. 3 BGB gilt ohnehin. In dem Fragebogen werden somit lediglich Schutzmaßnahmen aufgeführt, die im Einzelfall zum Schutz des Hinweisgebers in Betracht kommen können. Keinesfalls können und sollen diese generell für jeden Hinweisgeberfall Geltung beanspruchen.

    Überdies muss ein Hinweis nicht deshalb falsch sein, nur weil der Hinweisgeber damit auch egoistische Motive verfolgt. Deshalb ist es sehr wohl legitim und auch im Interesse des betroffenen Unternehmens, darüber nachzudenken, im Einklang mit dem geltenden Recht effektive Anreize zu schaffen, um an die Hinweise derer zu gelangen, die selbst in die anzuzeigenden Umstände verstrickt sind.

  3. Verletzung fremder Rechte

    Schließlich fordern Bortenlänger/Bremer, dass kein System geschaffen werden dürfe, das zum Bruch der Rechte Dritter geradezu einlädt. So seien Vorschläge abzulehnen, nach denen der Whistleblower sich von vornherein neben internen Hinweisen uneingeschränkt an Presse und Öffentlichkeit wenden kann. Aber das fordert niemand, schon gar nicht uneingeschränkt. Soweit sich Hinweisgeber an die Presse und an die Öffentlichkeit wenden, müssen sie hierbei selbstverständlich die geltenden Gesetze beachten. Sie stehen nicht über dem Recht nur weil sie Hinweisgeber sind. Das behauptet auch niemand.

    Ein Hinweisgebersystem sollte nach Bortenlänger/Bremer zudem so ausgestaltet sein, dass der Hinweisgeber den Hinweis zunächst intern platzieren muss und sich erst dann an öffentliche Stellen wenden darf. Auch dies ist nur wenig konkret und auch nicht praxisnah. Ein Hinweisgeber kann – insbesondere dann, wenn er wegen unzureichenden Schutzes anonym bleiben möchte – schlechterdings nicht davon abgehalten werden, die Presse oder die Strafverfolgungsbehörden zu informieren. Letztere sind schließlich dafür da, solchen Hinweisen nachzugehen. Wenn man wirklich möchte, dass sich die Hinweisgeber nicht öffentlich, sondern nur intern äußern sollen, dann muss man hierfür Anreize schaffen und die Hinweisgeber schützen. Dann darf man die Hinweisgeber und Vorschläge zu ihrem Schutz aber nicht a priori pauschal diskreditieren. Überdies bleiben die zivil- und strafrechtlichen Vorschriften zum Schutz vor falschen Verdächtigungen selbstverständlich in Kraft. Selbstverständlich gilt die Rechtsordnung auch für Hinweisgeber und diese wird auch nicht dadurch außer Kraft gesetzt, dass man die Hinweisgeber schützt.

    Auch, so Bortenlänger/Bremer, dürfe es keine finanziellen Anreize für Hinweise geben. Andernfalls drohe die Gefahr einer Spitzelatmosphäre und des Denunziantentums. Ein Hinweis muss aber nicht deshalb falsch sein, weil der Hinweisgeber hierfür einen finanziellen Anreiz erhält. Bei falschen Verdächtigungen erhält der Hinweisgeber auch keine Zuwendungen, sondern muss selbst mit Strafverfolgung und zivilrechtlicher Inanspruchnahme rechnen. Hinweise auf Denunzianten- und Spitzeltum sind im Übrigen längst überholte Vorurteile, die Compliance-Gegner einstmals gern bemüht haben (vgl. hierzu auch Buchert in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016, § 42 Rz. 2), um Hinweisgeber („oftmals erfundene Vorfälle, „falsche Verdächtigungen“, „wollen nur ihrem Ärger Luft verschaffen“) und Hinweisgebersysteme pauschal zu verunglimpfen. Solche Vorurteile befremden umso mehr, wenn die Autoren doch eigentlich für sich in Anspruch nehmen, dass „ein Schutz von Whistleblowern richtig und wichtig ist.“

    Richtig ist deshalb: Je besser ein Hinweisgeber im Rahmen eines unternehmensinternen Hinweisgebersystems geschützt wird, desto weniger Neigung wird er haben, sich öffentlich und anonym zu äußern. Aus solchen Hinweisen – insofern dürfte Einigkeit bestehen – droht Unternehmen und Dritten aber die größte Gefahr. Ein Schutz des Hinweisgebers kommt daher auch dem Unternehmen und Dritten zugute. Wenn durch einen Hinweis Missstände im Unternehmen aufgedeckt und abgestellt werden können, gilt dies erst recht. Richtig ist weiter: Jeder eingehende Hinweis kann richtig und wichtig sein und ist damit potentiell schützenswert. Welche Qualität ein solcher Hinweis hat, steht nicht von vornherein fest, sondern muss erst ermittelt werden. Hinweise mit dem Vorurteil aufzunehmen, dass diese ohnehin „oftmals erfunden“ sind, ist nicht zielführend. Damit schadet man jedenfalls den berechtigten Anliegen derer, bei denen das nicht der Fall ist.

Soweit Bortenlänger/Bremer also eine Sachlichkeit in der Diskussion fordern, ist dies nur zu begrüßen. Pauschale Verunglimpfungen von Hinweisgebern und von Vorschlägen, deren Schutz herzustellen, sowie längst überholte Vorurteile helfen in diesem Zusammenhang sicher nicht.