In einer bemerkenswerten Entscheidung vom 13.04.2016 hat sich der Bundesgerichtshof (AZ IV ZR 304/13) erstmals zum Problem einer sog. „freundlichen Inanspruchnahme“ in der D&O-Versicherung geäußert.

Worum geht es?

Manager haften persönlich und in unbegrenzter Höhe mit ihrem Privatvermögen, wenn sie pflichtwidrig für ihr Unternehmen einen Schaden herbeiführen. Hiervor soll die D&O-Versicherung schützen. Üblicherweise wird die D&O-Versicherung zwischen dem D&O-Versicherer und dem Unternehmen als Versicherungsnehmer abgeschlossen. Der Manager ist die aus dem Versicherungsvertrag begünstigte versicherte Person. Sofern das Unternehmen gegenüber dem versicherten Manager einen Schaden geltend macht und rechtskräftig entschieden wird, dass der Versicherte hierfür verantwortlich ist, hat der D&O-Versicherer den versicherten Manager von einem solchen Verlangen im Rahmen der geltenden Versicherungsbedingungen freizustellen. Der Deckungsanspruch steht in der D&O-Versicherung somit originär der versicherten Person (Manager) und nicht dem Versicherungsnehmer (Unternehmen) zu. Regelmäßig nimmt das Unternehmen den Manager erst dann in Anspruch, wenn dieser gekündigt wurde und das Unternehmen verlassen hat. Üblicherweise ist dies der Auftakt für sehr belastende, kostenintensive und langwierige juristische Auseinandersetzungen zwischen dem Unternehmen und seinem ausgeschiedenen Manager.

Nicht so in dem Fall, welchen der BGH jetzt zu entscheiden hatte. Der Geschäftsführer hatte zwar angeblich pflichtwidrig einen Schaden herbeigeführt und das Unternehmen nahm ihn hierfür auch formal in Anspruch. Allerdings blieb der Geschäftsführer im Amt, schied also gerade nicht aus dem Unternehmen aus und trat seinen ihm als versicherte Person zustehenden Deckungsanspruch gegen den D&O-Versicherer an das Unternehmen ab. Das Unternehmen machte diesen Anspruch gegen den D&O-Versicherer geltend.

Der Versicherer wandte hiergegen ein, in dieser Konstellation fehle es an einer „ernstlichen Inanspruchnahme“ der versicherten Person durch das Unternehmen. Das Unternehmen beabsichtige gar nicht, den Manager persönlich in Anspruch zu nehmen, sondern wolle durch die Abtretung des Deckungsanspruches nur künstlich eine Position schaffen, welche es ihr ermögliche, auf die „Fleischtöpfe“ des Versicherers zuzugreifen. Ein Versicherungsfall sei daher nicht eingetreten.

Diese Situation, in welcher der Manager im Unternehmen verbleibt, ein Versicherungsfall geltend gemacht wird und das Unternehmen sich den Deckungsanspruch des Managers gegen den Versicherer abtreten lässt, wird auch als sog. „freundliche Inanspruchnahme“ bezeichnet.

Die Entscheidung des BGH:

Der BGH erkannte das Problem eines „kollusiven Zusammenwirkens“ zwischen Versicherungsnehmer und versicherter Person, wies demgegenüber aber darauf hin, dass die Abtretung des Deckungsanspruches von der versicherten Person an das Unternehmen als Versicherungsnehmer zum einen rechtlich möglich sei und zum anderen weder einer ernstlichen Inanspruchnahme noch einem Versicherungsfall entgegenstehe. Wörtlich begründete der BGH dies wie folgt:

„Bei hohen Schäden verfügen Schädiger häufig nicht über ausreichendes privates Vermögen, um den jeweiligen Schadensersatzanspruch aus eigenen Mitteln zu erfüllen. Ist ein Schädiger in einem solchen Falle haftpflichtversichert, steht es der Eintrittspflicht des Versicherers nicht entgegen, wenn der Geschädigte den Schädiger allein mit Blick auf die Möglichkeit in Anspruch nimmt, im Vollstreckungswege Zugriff auf den Deckungsanspruch des Schädigers gegen seinen Haftpflichtversicherer zu nehmen, und anderenfalls – d.h. bei Fehlen einer Haftpflichtversicherung oder fehlender Eintrittspflicht des Haftpflichtversicherers – von einer Inanspruchnahme des Schädigers absähe. Zielt eine solche begrenzte Inanspruchnahme des Schädigers letztlich allein auf die Haftpflichtversicherungsleistung, kann noch keine Rede davon sein, dass der Schutzzweck der Haftpflichtversicherung nicht berührt und ein Versicherungsfall nicht eingetreten sei, weil dem Schädiger persönlich nicht die Vermögenseinbuße drohe, vor der ihn seine Haftpflichtversicherung schützen wolle.“

Folgerungen für die Praxis:

Die Entscheidung zeigt neben der „freundlichen Inanspruchnahme“ auf ein weiteres Phänomen in der Praxis: Dass nämlich eine D&O-Versicherung für das versicherte Organ oft auch Fluch statt Segen sein kann. Denn zu vielen Inanspruchnahmen von Managern kommt es nur deshalb, weil es eine D&O-Versicherung gibt, von der sich das Unternehmen Deckung verspricht. Das Organ wird hier zum bloßen „Spielball“ zwischen den Fronten und muss ertragen, dass auf seinem Rücken juristische Auseinandersetzungen geführt werden. Auch deshalb sollte der Abschluss einer D&O-Versicherung sorgfältig abgewogen werden. Letztendlich dürfte es hierfür aber kaum eine Alternative geben: Denn wenn es wirklich zu einem Haftungsfall kommt, ist angesichts der unbeschränkten Haftung der Manager eine D&O-Versicherung der einzige, wenn auch oftmals sehr lückenhafte Schutz.

Die Entscheidung des BGH kann Unternehmen dabei helfen, Schadensersatzforderungen gegen ihre Leitungsorgane bei den Versicherern durchzusetzen. Sie ist indessen kein Freifahrtsschein dafür, dort Pflichtverletzungen und Schäden zu behaupten, wo es keine gibt oder diese gar künstlich zu produzieren. Es bleibt somit dabei, dass vorsätzliches kollusives Zusammenwirken zwischen der Versicherungsnehmerin und der versicherten Person unzulässig bleibt. Ein solches Verhalten kann nicht nur dazu führen, dass der Versicherungsschutz entfällt, sondern auch zivilrechtliche Regressforderungen und strafrechtliche Vorwürfe zur Folge haben. Insofern werden die D&O-Versicherer mehr denn je und völlig zu Recht überprüfen, ob es kollusive Absprachen zu ihrem Nachteil gegeben hat. Die Versicherer haben in der Vergangenheit versucht, sich durch bestimmte Klauseltypen wie die sog. die Gerichtsklausel, die Trennungsklausel, die Öffentlichkeitsklausel und/oder die sog. Eigenschadenklausel vor freundlichen Inanspruchnahmen zu schützen. Ob diese Klauseln, die in der Vergangenheit vom Markt nur sehr zurückhaltend angenommen wurden, nun wieder verstärkt Einzug in die Versicherungsbedingungen finden werden, bleibt abzuwarten. In jedem Fall dürfte diese Entscheidung des BGH Auswirkungen auf das Prämienniveau haben.

Und noch etwas sollten Unternehmen bedenken, wenn Sie über ihren Manager an die Fleischtöpfe des Versicherers wollen: Besteht der Versicherungsschutz aus deckungsrechtlichen Gründen nicht, hat dies auf die haftungsrechtliche Inanspruchnahme des Managers erst einmal keine Auswirkungen. Vielmehr wurde mit der Inanspruchnahme des Managers „eine Lawine losgetreten“, die nur noch schwer zu stoppen ist. Dies kann zur Folge haben, dass der Manager mit seinem Privatvermögen haftet, womöglich dabei wirtschaftlich ruiniert wird und der D&O-Versicherer dennoch keinen Cent zahlt – also genau der Fall eintritt, der gerade nicht beabsichtigt war.

Rechtsanwalt Dr. Johannes Dilling hatte auf beide Phänomene, die „freundliche Inanspruchnahme“ einerseits und die D&O-Versicherung als „Damoklesschwert“ für den Manager und bestimmenden Faktor für dessen Inanspruchnahme andererseits in seiner Dissertation „Die Wirksamkeit der Risikoausschlüsse für wissentliche und vorsätzliche Pflichtverletzungen in der D&O-Versicherung“ hingewiesen. Er unterstützt Unternehmen dabei, Ansprüche gegen versicherte Personen im Rahmen der geltenden Versicherungsbedingungen zu prüfen und koordiniert ggf. die Schadensregulierung mit dem D&O-Versicherer.